Blickwechsel
Menschenrechte: Mehr als Empörung
Die schlechten Nachrichten überschlagen sich: Ein Ende des russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist nicht in Sicht.
von Heiner Bielefeldt
Nach dem Massaker der Hamas eskaliert die Gewalt in Gaza. Die technologisch gestützte Repression in China wird weiter perfektioniert. Das iranische Regime stoppt die Massen-demonstrationen von Frauen – mit brutaler Repression. An den Außengrenzen der EU stecken Flüchtlinge fest oder werden gar in den Tod geschickt.
Wo bleiben die Menschenrechte, die die Vereinten Nationen vor 75 Jahren feierlich erklärt hatten? Um den Schutz der Würde und Freiheit der Menschen steht es nicht gut. In allen Kontinenten erleiden Menschen Schikanen, Diskriminierungen und nicht selten systematische Verfolgung. Die Gründe reichen von politischer Diktatur über kapitalistische Ausbeutung bis zu verbreiteten gesellschaftlichen Vorurteilen gegen Andersdenkende und Anderslebende.
Ist der Einsatz für die Menschenrechte in all den Jahrzehnten vergeblich geblieben? Man wird einräumen müssen, dass viele Hoffnungen, die vor 75 Jahren in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gesetzt wurden, unerfüllt geblieben sind. Schlimmer noch: Wir erleben derzeit sogar Rückwärtsentwicklungen. Etablierte Demokratien drohen in den Autoritarismus zu kippen, gesellschaftliche Spaltungen verschärfen sich, rassistische und antisemitische Verschwörungstheorien grassieren, und das Internet wirkt oft wie ein Brandbeschleuniger für Hassorgien.
Anlass für Zufriedenheit gibt es gewiss nicht. Aber immerhin machen die Menschenrechte es möglich, den Protest gegen staatliche und gesellschaftliche Missstände klarer zu artikulieren und ihn auf eine breit anerkannte Grundlage zu stellen. Dies sollte man nicht geringschätzen. Rechtsverletzungen lassen sich auf diese Weise – über persönliche moralische Empörung hinaus – präzise benennen. Wichtiger noch ist, dass auf dieser Grundlage Menschen zu gemeinsamem Engagement zusammenfinden können. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amnesty International engagieren sich seit Jahrzehnten zugunsten politisch Verfolgter und werden dabei von einer breiten Mitgliedschaft getragen. Sie setzen auch die Politik unter heilsamen Druck.
In die gerichtliche Verfolgung schwerster Menschenrechtsverbrechen ist jüngst neue Dynamik gekommen. Vor zwei Jahren hat ein deutsches Gericht syrische Folterer zu langjährigen Haftstrafen verurteilt – obwohl die Verbrechen nicht auf deutschem Territorium stattgefunden hatten und weder die Täter noch die Opfer Deutsche waren. Dies ist ein Beispiel für die Anwendung des „Weltrechtsprinzips“, das zuvor wenig Beachtung gefunden hatte. Für Menschen, die aus Syrien fliehen mussten, war es ungemein wichtig zu erleben, dass ihre Unrechtserfahrungen von einem deutschen Gericht aufgenommen wurden.
Spektakulär ist auch der Haftbefehl gegen Putin, den der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag vor einigen Monaten erlassen hat. Zwar lässt sich nicht absehen, ob Putin jemals wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – darunter die Verschleppung zahlreicher ukrainischer Kinder – vor Gericht stehen wird. Das mag eher unwahrscheinlich sein. Aber schon jetzt ist der russische Präsident in seiner Reisetätigkeit erheblich eingeschränkt, weil er damit rechnen muss, im Ausland verhaftet zu werden. Dies ist ein starkes Zeichen – weit über den konkreten Fall und über die Region hinaus.
Die Durchschlagskraft der Menschenrechte ist davon abhängig, dass sich möglichst viele Menschen auf sie berufen. Sowenig eine Demokratie ohne engagierte Demokraten funktionieren kann, so wenig sind die Menschenrechte ein Selbstläufer. Es kommt deshalb darauf an, aus der Unzufriedenheit über den schlechten Stand der Menschenrechte die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Lamentieren bringt gar nichts. Solidarischer Protest und zivilgesellschaftliches Engagement kann hingegen dazu beitragen, die Welt ein bisschen heller zu machen.
Der Autor unterrichtet Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er war bis 2016 Sonderberichterstatter der UN für Religionsfreiheit.
Autor:Online-Redaktion |
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