Wege der Integration
Aus Angst: Lieber schlechte Schule als falsche Schule
Cordula Heckmann (64) ist seit mehr als 30 Jahren Lehrerin. Sie leitet die Gemeinschaftsschule Campus Rütli in Berlin-Neukölln. Dort gelang ihr mit ihrem Team der Wandel von einer Problemschule zu einem Erfolgsmodell. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie mögliche Wege der Integration aufzeigt. Nina Schmedding sprach mit ihr über fehlenden Wagemut an deutschen Schulen.
Sie kritisieren in Ihrem Buch "die Untertanenmentalität" an deutschen Schulen. Was meinen Sie damit?
Cordula Heckmann: Ich bemerke bei Lehrkräften, Schulleitern oder in der Schulverwaltung oft die Haltung: Besser schlechte Schule als falsche Schule. Soll heißen: Womöglich bleiben weniger Kraft und Zeit für den Unterricht oder die Begleitung von Schulen, aber jedes Formular ist korrekt ausgefüllt. Die Angst vor der Grenzüberschreitung, dem Fehlverhalten, dem Scheitern ist groß. Schade, denn das hemmt.
Hemmt was?
Dass man mutig voran geht. Das Regelwerk im Schulsystem ist zwar gut, aber man muss auch die Möglichkeiten sehen, mal nach rechts und links zu schauen. Meiner Meinung nach muss man gerade im Bereich der Bildung immer wieder Wagnisse eingehen.
Der Campus Rütli hat eine Reihe ungewöhnlicher Kurse: Arabisch, ein Kurs Glaube und Zweifel – sind das solche Wagnisse?
Kinder mit Zuwanderungsgeschichte leben in zwei Welten: Auf der einen Seite die Herkunftsfamilie und auf der anderen die Mehrheitsgesellschaft. Mir ist es wichtig, dass es in der Schule zu einem Dialog von beiden Welten kommt – einem Dialog auf Augenhöhe, in einer vertrauensvollen Umgebung. In den Lehrplänen wird die Unterschiedlichkeit der Lebenswelten zu wenig berücksichtigt, und es bleibt den einzelnen Schulen überlassen, ob sie solche Angebote schaffen.
Im Kern geht darum, die beiden Milieus gewinnbringend zueinander zu bringen. Integrationsarbeit ist ein Kontinuum und sollte deshalb nicht erst stattfinden, wenn es einen Skandal gibt. Deshalb sind diese Kurse wichtig: Wir wollen den jungen Menschen das Gefühl geben, dass sie dazu gehören und auch, dass ihre Sichtweise wahrgenommen wird – um sie für die Möglichkeiten, die die Gesellschaft als Chance für sie bereithält, zu öffnen.
Arabisch in der Schule – sollten die Kinder nicht Deutsch lernen?
Natürlich ist und bleibt die Bildungssprache Deutsch. Es handelt sich um zusätzlichen, freiwilligen muttersprachlichen Unterricht. Die Forschung geht davon aus, dass eine Zielsprache besser gelernt wird, wenn die Familiensprache gut beherrscht wird. Aber natürlich ist es auch eine Geste an die Kinder und Jugendlichen, dass sie sich wiederfinden in unserem Angebot.
Was müsste sich ändern, um Kindern und Jugendliche mit ungünstigen Startbedingungen die bestmögliche Bildung zu ermöglichen?
Was für Schulen in herausfordernden Lagen vor allem wichtig ist, ist Zeit. Meine Kollegen müssen sich dem einzelnen Kind widmen. Da unterscheiden wir uns wesentlich von Schulen, wo sozusagen die Eltern als Nachhilfelehrer eingepreist sind.
(kna)
Autor:Online-Redaktion |
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