Kreisauer Kreis
Ein Gegenbild zum Nationalsozialismus

Schloss Kreisau in Krzyzowa im polnischen Niederschlesien | Foto: epd-bild/Michael Grau
  • Schloss Kreisau in Krzyzowa im polnischen Niederschlesien
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Vor 80 Jahren, am 23. Januar 1945, richteten die Nationalsozialisten Helmuth James von Moltke und weitere Mitglieder des NS-Widerstandszirkels «Kreisauer Kreis» in Berlin hin. Führende Köpfe des Kreises waren Moltke und sein Freund Peter Yorck von Wartenburg, der bereits 1944 hingerichtet worden war. Der Kreis traf sich ab 1940 in verschiedenen Konstellationen auf Moltkes schlesischem Gut Kreisau (heute Krzyzowa) rund 60 Kilometer südwestlich von Breslau (Wroclaw) sowie in Berlin und München. Für den Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, den Politikwissenschaftler Johannes Tuchel, zählen die Kreisauer zu den wichtigsten Gruppen im Widerstand gegen Hitler. Mit ihm sprach Michael Grau.

Herr Tuchel, wie lässt sich die Rolle der Kreisauer im deutschen Widerstand beschreiben? Standen sie im Zentrum oder eher am Rand?
Tuchel:
Wir müssen uns von einem einheitlichen Bild des Widerstands gegen den Nationalsozialismus lösen. Eine zentrale Gruppe des Widerstands hat es nicht gegeben. Es war immer die Haltung von wenigen, von einzelnen oder von kleinen Gruppen. Wenn wir das Denken und das Planen für ein Deutschland nach Hitler in den Vordergrund stellen, dann gehört der Kreisauer Kreis eindeutig in eine ganz zentrale Rolle.

Viele Kreisauer haben ein Attentat auf Hitler abgelehnt. Wie haben sie sich den Wandel dann vorgestellt? Hofften sie auf eine Niederlage Deutschlands im Krieg?
Im Kreisauer Kreis ist das Recht auf Widerstand und das Recht auf den Tyrannenmord diskutiert worden, ohne dass es zu einem einheitlichen Bild gekommen ist. Es gab dort keine Homogenität. Und wir wissen nicht, wie sich die Diskussion weiterentwickelt hätte. Der Kreisauer Kreis hat in allem von seiner Vielfalt gelebt und von dem hohen sittlichen und moralischen Ernst, mit dem über diese Fragen gesprochen worden ist. Es ging ihnen ganz zentral um die Wiederherstellung des Rechtsstaats in Deutschland und um die Stellung Deutschlands in einem friedlichen Europa. Und damit weisen sie weit über das nationalsozialistische Deutschland hinaus.

Passt da überhaupt noch der Begriff des Widerstands?
Aber ja, selbstverständlich! Nicht nur das Attentat war Widerstand. Moltke und seine Freunde haben ein Gegenbild zur totalitären Struktur des Nationalsozialismus entworfen. Das ist eine so deutliche und klare Form des Widerstands, dass man es gar nicht deutlich genug hervorheben kann.

Mehr zum Kreisauer Kreis Der Kreisauer Kreis gehört zu den wichtigsten Gruppen im deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er vereinte unter anderen Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Konservative und Theologen, die Pläne für ein Deutschland nach Ende des NS-Staates entwickelten.

Zentrum der Gruppe war das Gut Kreisau (heute Krzyzowa) in Niederschlesien im heutigen Polen. Gutsbesitzer Helmuth James von Moltke (1907-1945) und sein Freund Peter Yorck von Wartenburg (1904-1944) waren ihre führenden Köpfe.

Zum bürgerlich-zivilen Widerstand des Kreisauer Kreis gehörten auch die Sozialdemokraten Carlo Mierendorff, Adolf Reichwein und Julius Leber, der Jesuitenpater Alfred Delp, der Diplomat Adam von Trott zu Solz und der evangelische Theologe und spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier. Insgesamt umfasste die Gruppe rund 20 Personen und ebenso viele Sympathisanten und Mitwisser. Sie hofften auf einen Staatsstreich des Militärs oder fassten bereits die Niederlage Deutschlands im Krieg ins Auge. Einige Mitglieder wie Moltke lehnten ein Attentat auf Hitler ab. Andere unterhielten Verbindungen zur Widerstandsgruppe des 20. Juli um Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907-1944).

Von 1941 bis 1943 kam der Kreisauer Kreis zu drei zentralen Tagungen auf Gut Kreisau zusammen. Seine Grundideen waren ein Ende nationaler Machtpolitik, ein geeintes Europa, Grundrechte für jeden Einzelnen und eine Neubegründung der Moral im Geiste des Christentums. Eine enge Verbindung von Staat und Kirche war Teil der Pläne.

Nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 löste sich die Gruppe praktisch auf. Einige ihrer Mitglieder wie Yorck, Wartenburg, Trott zu Solz, Leber und Delp wurden vom NS-Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Andere kamen mit dem Leben davon oder blieben unentdeckt.

Waren die Kreisauer Vordenker eines demokratischen Deutschlands im heutigen Sinne?
Eines demokratischen Deutschlands im heutigen Sinne mit Sicherheit nicht. Die Bundesrepublik gründet sich ja auf den Parlamentarismus. Für die Kreisauer war zunächst der Rechtsstaat von Bedeutung. Der war für sie die Voraussetzung für einen demokratischen Neuaufbau von unten. Welche Rolle die Parteien dabei spielen sollten, darüber bestand bei ihnen keine Einigkeit. Gegenüber dem Parlamentarismus der Weimarer Republik hatten sie durchaus große Skepsis. Hier waren sie noch nicht zu abschließenden Überlegungen gekommen.

Welche Rolle spielt das Christliche bei den Kreisauern?
Eine ganz starke, elementare Rolle. Sie finden ja sowohl prominente Vertreter des evangelischen Christentums als auch des katholischen Christentums im Kreisauer Kreis. Es ging um ökumenische Überlegungen. Und um ein Konzept, das die Bildung auf christliche Grundlagen stellen sollte. Der Wert des Christentums und christlicher Überlegungen kann für den Kreisauer Kreis gar nicht überschätzt werden.

Wenn man sich die Namensliste der Kreisauer anschaut, stößt man oft auf adelige Namen. War der Kreisauer Kreis letztlich eine Sache von Adeligen und Konservativen?
Vorsicht! Es waren auch Sozialdemokraten dabei. Und nicht-adelige Geistliche. Es ging hier nicht um Restauration und nicht um die Wiederherstellung der Monarchie. Sondern es ging hier um die Diskussion über ein neues Deutschland nach Hitler. Wir sollten nicht nur von der Herkunft eines Menschen und den ihn prägenden Milieus ausgehen. Auch viele andere Einflüsse haben die Kreisauer
geprägt: christliche Überzeugungen, demokratische Wertvorstellungen, Fragen von Moral und Ethik. Ich denke, dass plakative Zuschreibungen uns nicht weiterhelfen.

Welche Ideen der Kreisauer wirken fort bis heute?
Die Wiederherstellung des Rechtsstaats ist natürlich ein ganz eindeutiges Erbe. Auch bei der Integration des demokratischen Deutschland in Europa können Sie Kreisauer Gedanken wiederfinden. Was fortwirkt, ist auch, dass sie dieses Gegenbild zum Nationalsozialismus entworfen haben, damit man sehen konnte, dass eben nicht alle Deutschen bereit waren, Hitler bedingungslos zu folgen. Die Kreisauer hatten ins Auge gefasst, dass die Deutschen selbst bei der Verurteilung der nationalsozialistischen Gewaltverbrecher und Kriegsverbrecher mitwirken, auch wenn Deutschland durch die Alliierten befreit werden sollte. Sie nannten das die «Bestrafung der Rechtsschänder». Mitwirkung, Verantwortung und die Aufforderung zum eigenständigen politischen Handeln gehören zum Erbe der Kreisauer.

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