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Aufarbeitung
40 biblische Jahre später

Jugenddiakon Lothar Rochau (2.v.r.) wurde im Sommer 1983 festgenommen. | Foto: Foto: Archiv Rochau
  • Jugenddiakon Lothar Rochau (2.v.r.) wurde im Sommer 1983 festgenommen.
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Der EKM-Anerkennungsausschuss für die Opfer von DDR-Unrecht will bis zum September eine Auswertung seiner Arbeit vorlegen.

Von Beatrix Heinrichs und Katja Schmidtke

Das teilte Christian Dietrich mit. Der Pfarrer ist Geschäftsführer des dreiköpfigen Ausschusses und zugleich als Seelsorger für die Betroffenen zuständig. Die Fallbearbeitung soll bis Ende Juni abgeschlossen sein, so Dietrich.

Im Oktober 2017 hatte sich die EKM in einem Bußwort zu ihrer Verantwortung bekannt. Im Mai 2021 wurde von der Landeskirche ein Anerkennungsverfahren eingerichtet und ein Entschädigungsfonds von 500 000 Euro bereitgestellt. Belastet worden sei der Fonds nicht in Gänze, so Dietrich. In welcher Höhe er ausgeschöpft wurde, dazu machte Dietrich keine Angaben. Auch wie die verbleibenden Mittel eingesetzt werden sollen, ist noch unklar. Darüber müsse der Landeskirchenrat beschließen.

Insgesamt haben sich über 40 Betroffene an den Ausschuss gewandt, der im Auftrag des Landeskirchenrats über die eingegangenen Anträge entscheidet. Insbesondere kurz vor Ende der Antragsfrist zum 30. April hätten sich viele Menschen gemeldet.

Die Fälle seien sehr unterschiedlich und hätten nicht immer unmittelbar in einen Antrag gemündet. Zum Teil hätten Betroffene ihren Antrag selbst zurückgezogen. Bearbeitet worden sind insgesamt 29 Anträge. Bei weiteren 20 Anträgen hätte sich schnell die Nichtzuständigkeit des Ausschusses herausgestellt, erklärt Dietrich. In drei Fällen sei dies im Laufe des Verfahrens festgestellt worden. „Unser primäres Kriterium bei der Prüfung war die Frage: Liegt hier kirchliches Versagen vor?“, so Dietrich. Alle Betroffenen hätten Unrecht erlebt, nicht jeder Fall aber habe sich in einem kirchlichen Kontext verorten lassen. Derzeit seien sieben Verfahren mit neun Betroffenen abgeschlossen. Für 17 Betroffene laufen die Verfahren noch.

Auch einer der schwerwiegendsten Fälle habe abgeschlossen werden können, so Dietrich. Der Antrag von Lothar Rochau sei abschließend bearbeitet. Man sei zu einer Einigung gekommen, nachdem Rochau eine seiner Forderungen habe fallen lassen.

Rochaus Inhaftierung hatte sich am 23. Juni zum 40. Mal gejährt. Der Jugenddiakon hatte Ende der 1970er-Jahre in Halle-Neustadt die Offene Arbeit aufgebaut und war damit im DDR-Staat auf Widerstand gestoßen. Im Frühjahr 1983 wurde er aus dem Dienst der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen entlassen, im Sommer verhaftet, im Herbst verurteilt und später ausgebürgert. Das Landgericht Halle rehabilitierte ihn 1991. "40 Jahre nach meiner Verhaftung bin ich sehr froh über diese wichtige Etappe und danke dem Ausschuss", sagte Rochau zum Abschluss des Verfahrens, das in einem neunseitigen Papier mündete. Die Vereinbarung umfasse auch eine Anerkennungszahlung in fünfstelliger Höhe, die nicht als Entschädigung oder Wiedergutmachung zu werten sei. Wichtig ist Rochau vor allem, dass Landesbischof Friedrich Kramer ihm schriftlich für seine Arbeit in Halle-Neustadt danke und gleichzeitig die Schuld anerkenne und bedauere, die die Kirchenprovinz Sachsen im Zusammenhang mit den staatlichen Repressionen infolge von Rochaus Verhaftung, Verurteilung und Ausbürgerung auf sich geladen hat. Vor allem drei Inoffizielle Mitarbeiter im Konsistorium der KPS hatten Druck auf den Kirchenkreis aufgebaut, bei dem Rochau damals angestellt war.

Die Frage, ob Rochau als 1978 eingesegneter Diakon und Mitglied der Diakonischen Gemeinschaft der Brüder und Schwestern des Lindenhofs in Neinstedt das Recht zur freien Wortverkündigung hat, ist ungeklärt und nicht Teil der Anerkennungsvereinbarung.

Doch auch nach Abschluss der Ausschussarbeit müsse die wissenschaftliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts weitergehen, fordert Christian Dietrich, dessen Projektstelle für die Seelsorge an Diktaturopfern befristet ist und im September endet.

Autor:

Beatrix Heinrichs

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